Ein großes DANKESCHÖN an Michael Fischbach.

Mit seiner Zustimmung hab ich nun die Gelegenheit, hier eine sehr schöne Geschichte zu veröffentlichen.

Gerade diese Zeilen haben es verdient, das viele Eisenbahner und Eisenbahnfreunde diese lesen. Oder bei dem Einen oder Andern Erinnerungen an "die gute alte Zeit" wecken. Genug derr vielen Worte. . . Viel Spass
 

Eine etwas andere Weihnachtsgeschichte

geschrieben von: Michael Fischbach

Die erzählte einmal der Fritz Schaller, ein ehemaliger Lokführer aus unserem Dorf, wie er sie einmal am Heiligen Abend erlebt hatte.
Die Einsatzstelle von Fritz war Bad Homburg. Er fuhr von hier aus über die Strecken nach Friedberg, Grävenwiesbach, Weilburg und Wetzlar. Die Lok, auf der er am liebsten fuhr, war die Reihe 86. Sie ließ wirklich nichts stehen. Sie besorgte Übergaben zum Quarzitwerk an der Lochmühle, lange Berufspendlerzüge zwischen Grävenwiesbach und Bad Homburg und abends wieder zurück, Schneepflugdienste, denn früher gab’s noch Schnee und Güterzüge mit Rangieraufenthalten, die manchmal den ganzen Tag unterwegs waren, denn an jedem Bahnhof gab es etwas zu verladen.
Im Jahr 1958 blickte er bereits mit einem lachenden und einem weinenden Auge in Richtung Ruhestand. Zwei Jahre hatte er noch, dann war für ihn Schluss bei der Bahn.
Er war ein kerniger Opa, fast 2 Meter groß, aber nicht drahtig, hatte einen Humor, den ich als Kind nie verstand. Ich war ihm gegenüber immer etwas zurückhaltend, aber seine Geschichten gefielen mir, wenngleich da bestimmt eine gehörige Portion Lokführerlatein untergemischt war.

Im Dezember 1958, ich war gerade mal ein halbes Jahr alt und hatte von alldem noch nichts mitbekommen, hatte es der alte Fritz nicht gerade leicht, wie er selbst erzählte. In seiner Dienststelle waren viele seiner Kollegen, der Grippe wegen, nicht diensttauglich, was folglich zu starken Personalengpässen im Fahrdienst führte. Fritz blieb, Gott sei Dank, bislang von dem unheilvollen Virus verschont. Zum Dank dafür durfte, ja, musste er so viele Überstunden leisten, wie eben noch zulässig waren. Ab und an kamen Aushilfen aus anderen Dienststellen, aber das linderte den entstanden Engpass nur unzureichend. Fritz hatte zwei erwachsene Kinder und zwei kleine Enkelkinder. Er freute sich schon, dass er am 24. Dezember am frühen Nachmittag Dienstschluss haben sollte. Doch er hatte sich leider zu früh gefreut und die Rechnung ohne den Grippevirus gemacht.
Der 24. Dezember war ein Mittwoch und damals war es noch allgemein üblich, dass an diesem Tage in Handel, Gewerbe, Industrie und Handwerk überall bis zum späten Nachmittag gearbeitet wurde. Die frühen Feierabendzüge waren an diesem Tag besonders wichtig und um ein paar Wagen verstärkt worden. Jeder wollte nach Hause zu seinen Lieben, letzte Vorbereitungen für das Fest tätigen und möglichst am Abend noch Zeit für einen Kirchenbesuch haben.
Als Fritz mit seiner Übergabe vom Quarzitwerk an der Lochmühle (Anschluss am Bahnhof Saalburg an der Usinger Strecke) nach Bad Homburg zurückkehrte, erhielten er und sein Heizer die Order, die Lok im Bw selbst mit neuen Vorräten zu versorgen und noch einmal mit einem Personenzug nach Grävenwiesbach und zurück zu fahren, bevor dann wirklich Feierabend sein sollte. Pflichtbewusst wie er war, versuchte er das Beste daraus zu machen. Meckern half nichts in dieser Situation. Als er dann die Lok versorgte, musste er feststellen, dass sein Heizer kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen konnte. Er stand da, mit der Ölkanne in der Hand und schlotterte am ganzen Körper, sodass er seine Arbeit nicht mehr weiterführen konnte und sich im Aufenthaltsraum am Lokschuppen erst mal auf die Bank legen musste. Fritz ahnte nichts Gutes. Er versorgte seine Lok alleine, Kohle, Wasser, abschmieren und parkte sie neben dem Schuppen. Dann schaute er nach seinem Heizer. Dessen Stirn war so warm wie der Kessel seiner Lok. Das war ein untrügliches Zeichen dafür, dass ihn jetzt auch der Grippevirus in die Knie gezwungen hatte.
Jetzt stand Fritz da und wusste erst mal nicht mehr weiter. Er hatte schon seinen Dienst verlängern müssen wegen der kranken Kollegen und jetzt kippte sein Heizer kurz vor Toresschluss auch noch von der Stange. Er konnte unmöglich den wichtigen Nachmittagszug nach Grävenwiesbach ohne Heizer fahren. Außerdem war das überhaupt nicht zulässig. Noch dazu fuhr er der Dämmerung entgegen, da wurde jedes wache Auge gebraucht. Also was tun ? Kein Reserveheizer weit und breit.
Das war aber nicht seine einzige Sorge, denn der erkrankte Kollege war mit dem Fahrrad zum Dienst gekommen. Er konnte in diesem Zustand unmöglich mit dem Rad wieder nach Hause fahren.
Fritz überschritt die Gleise und stieg die Treppe ins nahe Stellwerk hinauf. Hier sprach er mit dem Fdl und dem Bw-Einsatzstellen-Leiter. Nach einigen Minuten kam die Nachricht, dass der kranke Kollege später mit einem Kellner des Bahnhofs- Restaurants zusammen im Linienbus nach Hause fahren konnte. Die beiden waren Nachbarn.
Nach dieser halbwegs guten Nachricht stopfte sich Fritz erst mal ein Pfeifchen.

>Du musst den Heini mitnehmen zum Heizen< , meinte der Einsatzstellen-Leiter.
Diese Aussage traf Fritz wie eine Drohung. Heini war der Schuppenheizer. Ein kleines dürres Männchen knapp über die 40, allein stehend, so ein halbes Hemd, manchmal ein Träumer, der in seinem eigenen Paralleluniversum schwebte, ein für das normale Leben völlig untauglicher Typ. Und der sollte mitfahren und heizen, unvorstellbar. Auch Heini selbst wäre nie auf die Idee gekommen, einmal eine fahrende Lok zu heizen. Aber was wäre die Alternative ?
Fritz ging hinüber in den Lokschuppen. In den 14 Ständen waren nur eine 78er und eine 56er, beides unter Dampf stehende Reserven. Im Freien heizten zwei 50er mehrere Zuggarnituren vor und seine 86 stand gurgelnd vor dem Schuppen. Die sonst noch anwesende 93er war zum Rangieren nach Oberursel gefahren. Im Bahnhof herrschte so eine Art Ruhe vor dem Sturm.
Fritz fand Heini auf dem Lokführerschemel der 78er im Schuppen sitzend, in den Nachmittag hineindösend. Fritz enterte den Führerstand, baute sich vor Heini auf: > Du fährst mit mir nach Grävenwiesbach ! Der Einsatzleiter heizt deine Loks hier weiter, auf geht’s.< Heini war so perplex, dass er gar nichts sagen konnte. Fritz schaute ihn scharf an und Heini merkte sofort, dass jeglicher Anflug von Widerspruch vollkommen sinnlos gewesen wäre.
Also, raus, noch mal um die Lok rum laufen, Druck aufbauen und reisefertig machen. Ran an den vorgeheizten Zug, abziehen und auf Gleis 5 bereitstellen. Bis der Kesseldruck einigermaßen stand, stand auch Heini, und zwar im eigenen Saft.

Auf Gleis 4, gegenüber am gleichen Bahnsteig kam der Zug aus Frankfurt mit seiner 78er zum Halten. Ein geschäftiges Treiben setzte auf dem Bahnsteig ein. Die Leute strömten die Treppen hinunter zum Ausgang, andere stürmten den Zug nach Grävenwiesbach, Gepäck wurde umgeladen. Alles in Allem ein chaotisches Gewusel.
Die Lokmannschaft der 78er staunte nicht schlecht, als sie Heini auf Fritz’ Lok entdeckten. Ob das gut ginge ? Skeptische Blicke und Gesten.

Abfahrt ----
Da die Strecke bis Friedrichsdorf 2-gleisige Hauptbahn ist, die Ausfahrt in leichtem Gefälle liegt, konnte man die Pferdchen so richtig laufen lassen. Dann die erste Steigung hinter Gonzenheim (noch zu Bad Homburg gehörig, aber ohne Bahnstation). Heini hatte sichtlichen Stress. Fritz merkte das und fuhr verhalten um Dampf zu sparen. Halt in Seulberg, danach in Schleichfahrt und Hp2 nach Friedrichsdorf. Links rüber, Halt in Gleis 2.

Jetzt ging’s in den Taunus. Heini schippte wie wild und baute ein ordentliches Feuer. Schwerer Rauch überzog die Bahnhofsgegend. Abfahrt nach kurzem Halt. Hp1 und noch vor der letzten Weiche in die Steigung. Jetzt brauchte Fritz alles, was die Lok herzugeben in der Lage war. Die Sache lief auch ganz gut. Heini aber triefte der Schweiß von der Stirn, hatte ganz hohle Augen und im Führerstand sah es aus, überall lagen Kohlebrocken verstreut.
Nächster Halt nach reichlich 2 Kilometern war Köppern.
Jetzt folgte eine lange Steigung. Der arme Heini. Auch während des Aufenthaltes in Köppern wurde eifrig geschaufelt. Fritz hatte schon Bange, Heini würde das Feuer ersticken. Kesseldruck war aber gut und ab ging’s zum Bahnhof Saalburg, der nächsten Station. Jetzt wieder volle Pulle durch den schon dämmerigen Wald, dass sämtliches Waldgetier um sein Leben lief.
Pünktlich im Bahnhof Saalburg. Und wieder ging die Schaufelei weiter, denn die Steigung setzte sich bis Wehrheim noch weitere 2 Kilometer fort.
Heini schwang die Schaufel. Ritsch- ratsch---- ritsch- ratsch---- ritsch---------- Ruhe !
Heini schaute ins Feuerloch und sah, wie seine Schaufel langsam ein Raub der Flammen wurde-----
Heini hatte keine 10.000 Volt in den Oberarmen und so eine hektische Schaufelei war er als Schuppenheizer nicht gewohnt. Da hatten ihn die Kräfte verlassen und weg war sie, die Schaufel, verschwunden im tiefen Höllenschlund dieser kleinen bösen 86er. Eine schöne Bescherung und ausgerechnet an diesem Tag.
Am liebsten hätte Heini sich jetzt heimlich vom Führerstand verdrückt und den langen Weg nach Bad Homburg zurück zu Fuß auf sich genommen.

Fritz hatte das gar nicht gleich bemerkt, denn er hielt Ausschau nach dem Einfahrtsignal von Wehrheim.
Erst als Heini in Wehrheim nur ruhig dastand, meinte Fritz: >He, was ist los, Heizerdenkmal oder was? < . Als Fritz erkannte, was los war, konnte er sich nur noch den Bauch halten vor lachen. Jetzt schauten zusammen vier Augen in den bösen Höllenschlund, der die arme Schaufel so emotionslos verschlang, und sahen nur noch das rot glühende Schaufelblech ganz hinten im Feuer liegen. > Heini, du bist das größte Rindviech, was je bei mir auf der Lok war <, herrschte Fritz ihn an und stieg kopfschüttelnd von der Lok. Er ging in den Bahnhof und mit dem Fdl zusammen in den Güterschuppen. Dort rappelten sie einen Moment lang herum, lachende und schimpfende Wortfetzen konnte Heini durch die offene Tür vernehmen. Dann kam Fritz mit einem Blecheimer wieder zum Vorschein, warf ihn durch die offen Führerstandstür direkt vor Heinis Füße. >Jetzt zeig mal, was du kannst<. Nun hatte Heini ein echtes Problem, denn Kohleschaufeln mit diesem Napf war weißgott kein leichtes Geschäft. Mit viel Schweiß und fallendem Kesseldruck erreichten Fritz und seine Fuhre Neu Anspach. Leichtes Gefälle und ebene Strecke bis Usingen kamen der jetzt sehr individuellen Feuerungsweise Heinis ungemein entgegen.

In Usingen war eine Lokstation mit Lokschuppen. Hier waren ein paar Minuten Aufenthalt. Fritz organisierte eine andere Schaufel. > Heini, die bind ich dir jetzt am Handgelenk fest <, flunkerte Fritz, aber Heini konnte darüber nicht lachen. Nicht nur, dass ihm die Sache sichtlich peinlich war, nein er pfiff auch kräftemäßig auf dem letzten Loch.
Nach der Abfahrt aus Usingen geht es wieder kräftig bergan. Fritz riss den Regler auf, ließ seine Lok laufen und griff jetzt selbst zur Schaufel.
Bis Wilhelmsdorf geht es nur durch Wald, ohne Übergänge oder Signale. Da konnte Fritz auch mal ein paar Sekunden die Strecke unbeobachtet lassen.
Von Wilhelmsdorf bis Grävenwiesbach geht es bergab. Jetzt normalisierten sich die Verhältnisse im Führerstand wieder einigermaßen. Es war sogar Zeit zum Fegen.

Die Rückfahrt war recht unspektakulär. Nur 2 mäßige Steigungsabschnitte. Das konnte Heini gerade noch bewältigen.

Nach der Ankunft in Bad Homburg war Fritz’ Dienstschicht endlich zu Ende. Heini begab sich zur Körpersanierung erst mal in den Waschraum. Fritz übergab die Lok an die ablösenden Kollegen weiter und folgte Heini nach.

Mittlerweile war es 18 Uhr geworden, die Glocken der Bad Homburger Erlöserkirche läuteten die Christmette ein.
Jetzt überkam Fritz das erste Mal ein gewisses weihnachtliches Gefühl.
> Na, Heini, was machst du heute Abend ? < fragte er ihn. > Nix, halt <, meinte Heini tonlos. Er hatte weiters keinen Anhang, lebte alleine. > Du kommst mit zu uns < , sagte Fritz. Und das war wie ein unumstößlicher Befehl.
So fuhren beide in Fritz’ Lloyd nach Oberstedten, wo Fritz wohnte und schon von der Familie erwartet wurde.
Für Heini gab es zwar kein Geschenk bei der abendlichen Bescherung. Das war aber nicht schlimm. Denn das größte Geschenk für Heini war, dass er an diesem Abend nicht alleine zu sein brauchte, sondern zusammen mit der Familie des Lokführers, der ihn bei seinem Missgeschick am Nachmittag nicht hängen gelassen hatte, das heilige Fest begehen durfte. Das Ereignis vom Nachmittag hatte Fritz schmunzelnd zu vorgerückter Stunde in der guten Stube zum Besten gegeben. Und Frau Schaller schob mitleidig dem armen Heini noch einmal die Dose mit dem Weihnachtsgebäck hin.


Sagt jetzt selbst, war der Fritz nicht ein begnadeter Geschichtenerzähler ? Nach solchen Geschichten konnte man sich als Bub nicht vorstellen, später je etwas anderes als auch Lokführer zu werden. Die Akteure dieser Geschichte allerdings, dürften sich zwischenzeitlich bereits alle im Eisenbahnerhimmel wieder gefunden haben. Vielleicht bekommen sie es mit und freuen sich, dass wir gerade heute an sie denken.